LEONORE
Ihr könnt das leicht sagen, Meister Rocco, aber ich,
ich behaupte, daß die Vereinigung zweier
gleichgestimmten Herzen die Quelle des wahren Glückes ist.
Freilich gibt es noch etwas, was mir nicht weniger kostbar sein
würde, - aber mit Kummer sehe ich, daß ich es trotz aller meiner
Bemühungen nicht erhalten werde.
ROCCO
Und was wäre denn das?
LEONORE
Euer Vertrauen. Verzeiht mir diesen kleinen Verweis,
aber oft sehe ich euch aus den unterirdischen Gewölben
des Schlosses ganz außer Atem und ganz ermattet
zurückkommen; warum erlaubt Ihr mir nicht,
euch hinzubegleiten? -
ROCCO
Du weißt doch, daß ich den strengsten Befehl habe,
niemanden, wer es auch sein mag, zu den Staatsgefangenen
zu lassen.
MARZELLINE
Es sind ihrer aber so viele in dieser Festung! -
Du arbeitest dich ja zu Tod, lieber Vater.
LEONORE
Sie hat recht, Meister Rocco. - Man soll allerdings seine
Schuldigkeit tun, aber es ist doch auch erlaubt,
mein' ich, zuweilen daran zu denken, wie man sich für die,
die uns angehören und lieben, ein bißchen schonen kann.
(Sie drückt eine seiner Hände in die ihrigen.)
MARZELLINE
(Roccos andere Hand an ihre Brust drückend)
Man muß sich ja für seine Kinder zu erhalten suchen.
ROCCO (sieht beide gerührt an)
Ja, ihr habt recht, diese schwere Arbeit würde mir
doch endlich zu viel werden. Der Gouverneur ist zwar
sehr streng, er muß mir aber doch erlauben, dich in die
geheimen Kerker mit mir zu nehmen.
(Leonore entwischt eine heftige Gebärde der Freude)
Unterdessen gibt es doch ein Gewölbe, in das ich dich
nie werde führen dürfen, obwohl ich mich ganz
auf dich verlassen kann.
MARZELLINE
Vermutlich, wo der Gefangene sitzt, von
dem du schon einige gesprochen hast, Vater.
ROCCO
Du hast's erraten.
LEONORE
Ich glaub', es ist schon lange her, daß er gefangen sitzt.
ROCCO
Es ist schon über zwei Jahre.
LEONORE
Zwei Jahre, sagt Ihr? Er muß ein großer Verbrecher sein.
ROCCO
Oder er muß große Feinde haben; das kommt ungefähr auf
eins heraus.
MARZELLINE
So hat man denn nie erfahren können, woher er ist, und wie er
heißt?
ROCCO
Ach, für unsereinen ist's am besten, so wenig Geheimnisse
als möglich zu wissen, darum hab' ich ihn auch nie ihn anhören
wollen. Ich hätte mich verplappern können, und ihm hätt'
ich auch nicht genützt, sondern vielmehr geschadet. -
Nun, er wird nicht mehr lange sich quälen müssen!
Es kann nicht mehr lange mit ihm dauern.
LEONORE
Oh Gott!
ROCCO
Seit einem Monat schon muß ich auf Pizarros Befehl
seine Portion kleiner machen. Jetzt hat er binnen
vierundzwanzig Stunden nicht mehr als zwei Unzen
schwarzes Brot und eine halbe Maß Wasser.
MARZELLINE
O lieber Vater, führe Fidelio ja nicht zu ihm,
diesen Anblick könnt' er nicht ertragen.
LEONORE
Warum denn? Man muß sich an alles gewöhnen -
besonders in unserem Stande. - O, ich habe Mut und Stärke.