ROCCO
Höre, Fidelio, wenn ich auch nicht weiß,
wie und wo auf die Welt gekommen bist,
und wenn du auch gar keinen Vater gehabt hättest,
so weiß ich doch, was ich thue, - ich mache dich
zu meinem Tochtermann
MARZELLINE (hastig.)
Wirst du es schon bald thun, lieber Vater?
ROCCO (lachend.)
Ey, ey, wie eilfertig!
(Ernsthafter.)
So bald der Gouverneur nach Sevilla gereist sein wird.
Dann haben wir mehr Muße
- Ihr wißt ja, daß er alle Monate hingeht,
um über alles, was hier im Staatsgefängnis vorgeht,
Rechenschaft zu geben. In wenigen Tagen muß er wieder fort,
und den Tag nach seiner Abreise geb' ich euch zusammen;
darauf könnt ihr rechnen.
MARZELLINE
Den Tag nach seiner Abreise! Das hast du recht vernünftig
gemacht, lieber Vater!
LEONORE
(schon vorher sehr betreten, aber jetzt sich freudig stellend.)
Den Tag nach seiner Abreise!
(Bei Seite.)
O welche neue Verlegenheit!
ROCCO
Nun, meine Kinder, Ihr habt euch doch recht herzlich lieb!
nicht wahr? Aber das ist noch nicht alles, was zu einem guten,
vergnügten Haushaltung gehört, man braucht auch Geld -
(er macht die Gebärde des Geldzählens)
Und ich -
LEONORE
Ihr könnt das leicht sagen, Meister Rocco;
aber ich ich behaupte, daß die Vereinigung
zweyer gleich gestimmten Herzen die Quelle
des wahren ehelichen Glückes ist.
(Mit Wärme.)
O dieses Glück muß der größte Schatz auf Erden sein!
(Sich wieder fassend und mässigend.)
Freilich giebt es noch etwas,
was mir nicht weniger kostbar sein würde;
aber mit Kummer sehe ich, daß ich es durch alle
meine Bermühungen nicht erhalten werde.
ROCCO
Und was wäre denn das für ein Schatz?
LEONORE
Euer Vertrauen. Verzeiht mir diesen kleinen Vorwurf;
aber oft sehe ich euch aus den unterirdischen Gewölben
dieses Schlosses ganz außer Athem,
und ermattet zurück kommen;
warum erlaubt ihr mir nicht, euch dahin zu begleiten?
Es wäre mir so lieb, wenn ich euch bei eurer Arbeit helfen,
und eure Beschwerden Thelen könnte.
ROCCO
Du weißt doch, daß ich den strengsten Befehl habe,
niemanden, wer es auch sein mag, zu den Staatsgefangenen
zu laßen.
MARZELLINE
Es sind ihrer aber gar so viele in dieser Festung!
Du arbeitest dich ja zu Tode, lieber Vater!
LEONORE
Sie hat recht, Meister Rocco.
Man soll allerdings seine Schuldigkeit thun;
(zärtlich) aber es ist doch auch erlaubt,
mein' ich, zuweilen daran zu denken,
wie man sich für die, die uns angehören und lieben,
ein bisschen schonen kann.
(Sie drückt eine seiner Hände in die ihrigen.)
MARZELLINE
(Roccos andere Hand an ihre Brust drückend.)
Man muß sich für seine Kinder zu erhalten suchen.
ROCCO
(sieht beide gerührt an.)
Ja ihr habt recht, diese schwere Arbeit würde
mir doch endlich zu viel werden.
Der Gouverneur ist zwar sehr streng,
er muß mir aber doch erlauben,
dich in die geheimen Kerker mit mir zu nehmen.
(Leonore äußert eine heftige Gerberde der Freude.)
Unterdessen giebt es ein Gewölbe, in das ich dich wohl
nie werde führen dürfen,
obschon ich mich ganz auf dich verlassen kann.
MARZELLINE
Vermuthlich, wo der Gefangene sitzt,
von dem du schon einigemal gesprochen hast, Vater?
ROCCO
Du hasts errathen.
LEONORE (forschend.)
Ich glaub' es ist schon lange her, daß er gefangen ist?
ROCCO
Es ist schon über zwei Jahre.
LEONORE (heftig.)
Zwei Jahre, sagt ihr?
(sich fassend.)
Er muß ein großer Verbrecher sein.
ROCCO
Oder er muß große Feinde haben;
das kommt ungefähr auf eines hinaus.
MARZELLINE
So hat man denn nie erfahren können,
woher er ist, und wie er heißt?
ROCCO
O wie oft hat er mit mir von allem dem reden wollen!
LEONORE
Nun?
ROCCO
Für unser einen ists aber am besten,
so wenig Geheimnisse als möglich zu wissen;
darum hab' ich ihn auch nie anhören wollen.
Ich hätte mich verplappern können,
und ihm hätt' ich doch nicht genützt.
(Geheimnißvoll.)
Nun, er wird mich nicht lange mehr quälen, dieser!
Es kann nicht mehr lange mit ihm dauern.
LEONORE (bei Seite.)
Großer Gott!
MARZELLINE
Lieber Himmel, wir hat er denn
eine so schwere Strafe verdient?
ROCCO
(noch geheimnißvoller.)
Seit einem Monate schon muß
ich auf Pizarro's Befehl seine Porzion kleiner machen.
Jetzt hat er binnen vier
und zwanzig Stunden nicht mehr,
als zwei Unzen schwarzes Brod,
und eine halbe Maß Wasser;
kein Licht als den Schein der Lampe,
kein Stroh mehr, nichts
MARZELLINE
O lieber Vater, führe Fidelio ja nicht zu ihm;
diesen Anblick könnt' er nicht ertragen.
LEONORE
Warum denn?
Man muß sich an Alles gewöhnen,
besonders in unserm Stande.
O ich habe Muth und Stärke!
ROCCO
(sie auf die Schulter klopfend.)
Brav, mein Sohn, brav!
Es freut mich, daß ich diese Anlage bie dir sehe;
du wirst deinen Weg machen,
ich sage dir's; du wirst deinen Weg machen.