Der Hof des Staatsgefängnisses
MARZELLINE
(sieht sich jedesmall, wenn gepocht wird, nach der Tür um; kleine Pause ehe sie zu reden anfängt.)
Fidelio kommt nicht zurück!
Es ist kein Wunder; er hat so viel zu laufen,
so viel zu bestellen. Seit einiger Zeit hat
es der arme Junge recht hart.
Ach! (sie seufzt verschämt)
Aus dem Mitleiden, das ich fühle,
merke ich erst recht, wie sehr gut ich ihm bin,
viel mehr, als ich es vorher gegen Jaquino war,
den ich doch, ehe ich Fidelio kannte,
recht wohl leiden mochte! (Etwas lebhafter)
Doch ich glaube,
daß Fidelio auch mir recht gut ist,
und wenn ich nur erst wüßte,
wie mein Vater gegen ihn gesinnt ist;
so sollte bald der schönste Tag
meines Lebens herannahen.
Wir würden unser kleines Hauswesen so hübsch einrichten,
so hübsch! Fidelio bleib Schlüsselträger,
und hätte die Anwartschaft auf meines Vaters Dienst,
und ich, ich wasche für die armen Gefangenen.
Da wird es immer vollauf zu verdienen geben.
Ach wäre diese Zeit schon da!
MARZELLINE
O wär' ich schon mit dir vereint,
und dürfte Mann dich nennen!
Ein Mädchen darf ja, was es meint,
zur Hälfte nur bekennen!
Doch wenn ich nicht erröten
muß ob einem warmen Herzenskuß,
wenn nichts uns stört auf Erden.
(Sie seufzt, und legt die Hand aufs Herz.)
Die Hoffnung schon erfüllt die Brust
mit unaussprechlich süßer Lust;
wie glücklich will ich werden!
In Ruhe stiller Häuslichkeit
erwach' ich jeden Morgen,
wir grüßen uns mit Zärtlichkeit,
Der Fleiß verscheucht die Sorgen.
Und ist die Arbeit abgetan,
dann schleicht die holde Nacht heran,
dann ruh'n wir von Beschwerden. (wie oben.)
Die Hoffnung schon erfüllt die Brust
mit unaussprechlich süßer Lust;
wie glücklich will ich werden!
JAQUINO
Wenn ich diese Thüre heute nicht schon
zweihundert Mal aufgemacht habe, will ich nicht
Kasper Eustach Jaquino heißen.
(Zu Marzellinen.) Endlich kann ich wieder
einmal mit dir plaudern.
(Man pocht) Zum Wetter! Schon wieder!
(Er geht um aufzuschließen.)
MARZELLINE
(auf der Vorderbühne.)
Ohne Zweifel wird er mir wieder von seiner
Liebe reden wollen. (Weiblich ärgerlich.)
Was kann ich dafür, daß ich ihn nicht mehr so gern,
wie sonst, haben kann.
Ich muß es ihm bestimmt merken lassen,
wenn ich Ruhe haben will.
JAQUINO
(zu dem, der gepocht hat, indem er hastig zuschließt.)
Er wirds bekommen! Er wird's bekommen!
(vorgehend zu Marzellen.)
Nun hoffe ich, soll uns Niemand mehr stören.
JAQUINO
(verliebt sich die Hände reibend.)
Jetzt, Schätzchen, jetzt sind wir allein,
Wir können vertraulich nun plaudern.
MARZELLINE
(ihre Arbeit fortsetzend.)
Es wird ja nichts Wichtiges sein,
ich darf bei der Arbeit nicht zaudern.
JAQUINO
Ein Wörtchen, du Trotzige, du!
MARZELLINE
So sprich nur, ich höre ja zu.
JAQUINO
Wenn du mir nicht freundlicher´ blickest,
so bring´ ich kein Wörtchen hervor.
MARZELLINE
Und wenn du dich nicht in mich schickest,
verstopf ich mir vollends das Ohr.
JAQUINO
Ein Weilchen nur höre mir zu,
dann lass´ ich dich wieder in Ruh´.
MARZELLINE
So hab´ ich denn nimmermehr Ruh´;
Ich höre, so rede nur zu!
JAQUINO
Ich habe zum Weib dich gewählet,
verstehst du?
MARZELLINE
Das ist ja doch klar!
JAQUINO
Und wenn mir dein Jawort nicht fehlet,
was meinst du?
MARZELLINE
So sind wir ein Paar.
JAQUINO
Wir könnten in wenigen Wochen...
MARZELLINE
Recht schön, du bestimmst schon die Zeit.
(Man pocht.)
JAQUINO
Zum Wetter das ewige Pochen,
da war ich so herrlich im Gang,
und immer entwischt mir der Fang!
MARZELLINE
So bin ich doch endlich befreit!
Wie macht seine Liebe mir bang,
Wie werden die Stunden mir lang.
(Jaquino öffnet die Pforte, nimmt ein
Paket ab, und legt es in sein Stübchen,
unterdessen fährt Marzelline fort.)
MARZELLINE
Ich weiß, daß der Arme sich quälet,
es thut mir so leid auch um ihn!
Fidelio doch ist erwählet,
ihn lieben, ist süßer Gewinn.
JAQUINO
(zurück kommend.)
Wo war ich? Sie sieht mich nicht an!
MARZELLINE
Da ist er - er fängt wieder an!
JAQUINO
Wann wirst du das Jawort mir geben?
Es könnte ja heute ja heute noch sein.
MARZELLINE
(bei Seite.)
O weh! Er verbittert mein Leben!
(zu ihm.)
Jetzt, morgen, und immer, nein, nein!
JAQUINO
Du bist doch wahrhaftig von Stein,
kein Wünschen, kein Bitten, dringt ein.
MARZELLINE
(für sich)
Ich muß ja so hart mit ihm sein,
er hofft bei dem mindesten Schein.
JAQUINO
So wirst du dich nimmer bekehren?
Was meinst du?
MARZELLINE
Du könntest nun geh'n!
JAQUINO
Dich anzusehn'n willst du mir wehren?
Auch das noch?
MARZELLINE
So bleibe hier steh'n!
JAQUINO
Du hast mir so oft doch versprochen.
MARZELLINE
Versprochen? Nein, das geht zu weit!
(Man pocht.)
JAQUINO
Zum Wetter! das ewige Pochen!
MARZELLINE
So bin ich doch endlich befreit!
Das ist ein willkommener Klang,
es wurde zu Tode mir bang.
JAQUINO
Es ward ihr im Ernste schon bang;
wer weiß, ob es mir nicht gelang.
MARZELLINE
(Sie hat zu arbeiten aufgehört; bei Seite.)
Es ist kein anderes Mittel übrig,
ich muß den Muth fassen,
und entschieden und standhaft mit ihm reden,
sonst macht er sich immer noch Hoffnung.
Doch da kommt eben mein Vater.
VORIGE, ROCCO
(der während der letzten Worte Marzellinens eingetreten ist.)
Guten Tag meine Tochter!
Ist Fidelio noch nicht zurück gekommen?
MARZELLINE
Nein, mein Vater!
ROCCO
Die Stunde naht,
wo ich dem Gouverneur die Briefschaften bringen muß,
die Fidelio abholden sollte;
ich erwarte ihn mit Ungeduld.
- (Während der letzten Worte Roccos wird an der Pforte gepocht.)
JAQUINO
Ich komme schon,
ich komme schon.
(Lauft geschäftig, um aufzuschließen.)
MARZELLINE
Er wird gewiß so lange bei
dem Schmidt haben warten müssen.
(Sie hat während dessen Leonoren zur Thüre
herein kommen erblickt; mit Lebhftigkeit.)
Da ist er ja!
da ist er!
Vorige, Leonore. (Sie trägt ein dunkles Wannes, ein rothes Gilet, und rothes Beinkleid, kurze Stiefel, einen breiten Gürtel von schwarzem Leder mit einer kupfernen Schnalle; ihre Haare sind in eine Netzhaube gesteckt. Auf dem Rücken trägt sie ein Behältniß mit Lebensmitteln, auf den Armen Ketten, die sie beim Eintreten an dem Stübchen des Pförtners ablegt; an der Seite hängt ihr eine blechend Büchse an einer Schnur.)
RecitativeMARZELLINE
Lieber Gott, der Schweiß läuft ihm von der Stirne.
JAQUINO
Das war notwendig, so schnell aufzumachen,
den Patron hereinzulassen.
ROCCO
Mein armer Fidelio!
LEONORE
Ich muß gestehen - ich bin ein wenig müde. -
Der Schmied hatte an den Ketten auch so lange auszubessern,
daß ich meinte, es nehme gar kein Ende.
ROCCO
Sind sie jetzt gut gemacht?
LEONORE
O ja, recht gut und fest, ganz gewiß.
Keiner der Gefangenen kann sie zerbrechen.
ROCCO
Wieviel kosten sie alle zusammen?
LEONORE
Zwölf Piaster ungefähr. - Da ist die genaue Note
ROCCO
Gut! Brav! - Zum Wetter, da gibt es Artikel,
auf die wir wenigstens die Hälfte gewinnen können!
LEONORE
Ich tue, was mir möglich ist.
ROCCO
Ja, du bist ein wackerer Junge; ich habe dich auch mit
jedem Tage lieber, und sei versichert, dein Lohn soll
dir nicht ausbleiben.
LEONORE
O denkt nicht, daß ich meine Schuldigkeit nur
des Lohnes wegen -
ROCCO
Meinst du, ich kann dir nicht ins Herz sehen?
MARZELLINE
(welche während dem Lobe, das Rocco Leonoren ertheilte,
die größte Theilnahme hat blicken lassen, und sie mit immer
zunehmenden Bewegung liebevoll betrachtet hat. Für sich.)
Mir ist so wunderbar,
es engt das Herz mir ein;
er liebt mich, es ist klar,
ich werde glücklich, glücklich sein.
LEONORE
(für sich.)
Wie groß ist die Gefahr!
wie schwach der Hoffnung Schein!
sie liebt mich, es ist klar,
o namenloser Pein!
ROCCO
(der während dessen wieder auf die Vorderbühne
zurückgekehrt ist.)
Sie liebt ihn, es ist klar,
ja, Mädchen, er wird dein,
ein gutes, junges Paar,
sie werden glücklich sein.
JAQUINO
(der unter dem Beobachten sich
immer mehr genähert hat; auf der Seite,
und etwas hinter den übrigen stehend.)
Mir sträubt sich schon das Haar,
der Vater willigt ein,
mir wird so wunderbar,
mir fällt kein Mittel ein.
(Nach Endigung dieses Canons geht
Jaquino in seine Stube zurück.)
ROCCO
Höre, Fidelio, wenn ich auch nicht weiß,
wie und wo auf die Welt gekommen bist,
und wenn du auch gar keinen Vater gehabt hättest,
so weiß ich doch, was ich thue, - ich mache dich
zu meinem Tochtermann
MARZELLINE (hastig.)
Wirst du es schon bald thun, lieber Vater?
ROCCO (lachend.)
Ey, ey, wie eilfertig!
(Ernsthafter.)
So bald der Gouverneur nach Sevilla gereist sein wird.
Dann haben wir mehr Muße
- Ihr wißt ja, daß er alle Monate hingeht,
um über alles, was hier im Staatsgefängnis vorgeht,
Rechenschaft zu geben. In wenigen Tagen muß er wieder fort,
und den Tag nach seiner Abreise geb' ich euch zusammen;
darauf könnt ihr rechnen.
MARZELLINE
Den Tag nach seiner Abreise! Das hast du recht vernünftig
gemacht, lieber Vater!
LEONORE
(schon vorher sehr betreten, aber jetzt sich freudig stellend.)
Den Tag nach seiner Abreise!
(Bei Seite.)
O welche neue Verlegenheit!
ROCCO
Nun, meine Kinder, Ihr habt euch doch recht herzlich lieb!
nicht wahr? Aber das ist noch nicht alles, was zu einem guten,
vergnügten Haushaltung gehört, man braucht auch Geld -
(er macht die Gebärde des Geldzählens)
Und ich -
LEONORE
Ihr könnt das leicht sagen, Meister Rocco;
aber ich ich behaupte, daß die Vereinigung
zweyer gleich gestimmten Herzen die Quelle
des wahren ehelichen Glückes ist.
(Mit Wärme.)
O dieses Glück muß der größte Schatz auf Erden sein!
(Sich wieder fassend und mässigend.)
Freilich giebt es noch etwas,
was mir nicht weniger kostbar sein würde;
aber mit Kummer sehe ich, daß ich es durch alle
meine Bermühungen nicht erhalten werde.
ROCCO
Und was wäre denn das für ein Schatz?
LEONORE
Euer Vertrauen. Verzeiht mir diesen kleinen Vorwurf;
aber oft sehe ich euch aus den unterirdischen Gewölben
dieses Schlosses ganz außer Athem,
und ermattet zurück kommen;
warum erlaubt ihr mir nicht, euch dahin zu begleiten?
Es wäre mir so lieb, wenn ich euch bei eurer Arbeit helfen,
und eure Beschwerden Thelen könnte.
ROCCO
Du weißt doch, daß ich den strengsten Befehl habe,
niemanden, wer es auch sein mag, zu den Staatsgefangenen
zu laßen.
MARZELLINE
Es sind ihrer aber gar so viele in dieser Festung!
Du arbeitest dich ja zu Tode, lieber Vater!
LEONORE
Sie hat recht, Meister Rocco.
Man soll allerdings seine Schuldigkeit thun;
(zärtlich) aber es ist doch auch erlaubt,
mein' ich, zuweilen daran zu denken,
wie man sich für die, die uns angehören und lieben,
ein bisschen schonen kann.
(Sie drückt eine seiner Hände in die ihrigen.)
MARZELLINE
(Roccos andere Hand an ihre Brust drückend.)
Man muß sich für seine Kinder zu erhalten suchen.
ROCCO
(sieht beide gerührt an.)
Ja ihr habt recht, diese schwere Arbeit würde
mir doch endlich zu viel werden.
Der Gouverneur ist zwar sehr streng,
er muß mir aber doch erlauben,
dich in die geheimen Kerker mit mir zu nehmen.
(Leonore äußert eine heftige Gerberde der Freude.)
Unterdessen giebt es ein Gewölbe, in das ich dich wohl
nie werde führen dürfen,
obschon ich mich ganz auf dich verlassen kann.
MARZELLINE
Vermuthlich, wo der Gefangene sitzt,
von dem du schon einigemal gesprochen hast, Vater?
ROCCO
Du hasts errathen.
LEONORE (forschend.)
Ich glaub' es ist schon lange her, daß er gefangen ist?
ROCCO
Es ist schon über zwei Jahre.
LEONORE (heftig.)
Zwei Jahre, sagt ihr?
(sich fassend.)
Er muß ein großer Verbrecher sein.
ROCCO
Oder er muß große Feinde haben;
das kommt ungefähr auf eines hinaus.
MARZELLINE
So hat man denn nie erfahren können,
woher er ist, und wie er heißt?
ROCCO
O wie oft hat er mit mir von allem dem reden wollen!
LEONORE
Nun?
ROCCO
Für unser einen ists aber am besten,
so wenig Geheimnisse als möglich zu wissen;
darum hab' ich ihn auch nie anhören wollen.
Ich hätte mich verplappern können,
und ihm hätt' ich doch nicht genützt.
(Geheimnißvoll.)
Nun, er wird mich nicht lange mehr quälen, dieser!
Es kann nicht mehr lange mit ihm dauern.
LEONORE (bei Seite.)
Großer Gott!
MARZELLINE
Lieber Himmel, wir hat er denn
eine so schwere Strafe verdient?
ROCCO
(noch geheimnißvoller.)
Seit einem Monate schon muß
ich auf Pizarro's Befehl seine Porzion kleiner machen.
Jetzt hat er binnen vier
und zwanzig Stunden nicht mehr,
als zwei Unzen schwarzes Brod,
und eine halbe Maß Wasser;
kein Licht als den Schein der Lampe,
kein Stroh mehr, nichts
MARZELLINE
O lieber Vater, führe Fidelio ja nicht zu ihm;
diesen Anblick könnt' er nicht ertragen.
LEONORE
Warum denn?
Man muß sich an Alles gewöhnen,
besonders in unserm Stande.
O ich habe Muth und Stärke!
ROCCO
(sie auf die Schulter klopfend.)
Brav, mein Sohn, brav!
Es freut mich, daß ich diese Anlage bie dir sehe;
du wirst deinen Weg machen,
ich sage dir's; du wirst deinen Weg machen.
ROCCO
Gut, Söhnchen, gut,
hab immer Mut,
dann wird dir's auch gelingen,
das Herz wird hart durch Gegenwart
bei fürchterlichen Dingen.
LEONORE
(mit Kraft)
Ich habe Mut!
Mit kaltem Blut
will ich hinab mich wagen;
für hohen Lohn
Darf Liebe schon
Auch hohe Leiden tragen.
MARZELLINE
Dein gutes Herz wird manchen
Schmerz in diesen Grüften leiden,
dann kehrt zurück der Liebe Glück
mit unnennbare Freuden.
ROCCO
Du wirst dein Glück ganz sicher bauen,
LEONORE
Ich hab' auf Gott und Recht Vertrauen.
MARZELLINE
Du darfst mir auch ins Auge schauen;
der Liebe Macht ist auch nicht klein.
ROCCO
Du wirst dein Glück ganz sicher bau'n,
ja, ja, wir werden glücklich sein,
wir werden glücklich sein
LEONORE
Ich hab' auf Gott und Recht Vertrauen,
ja, ja, ja, ich kann noch glücklich sein,
ich kann noch glücklich sein.
MARZELLINE
der Liebe Macht ist auch nicht klein,
ja, ja, ja, wir werden glücklich sein,
wir werden glücklich sein.
ROCCO
Der Gouverneur,
der Gouverneur soll heut' erlauben,
daß du mit mir die Arbeit teilst.
LEONORE
Du wirst mir alle Ruhe rauben,
wenn du bis morgen nur verweilst.
MARZELLINE
Ja, guter Vater, bitt ihn heute,
in kurzem sind wir dann ein Paar.
ROCCO
Ich bin ja bald des Grabes Beute,
ich brauche Hilf, es ist ja klar.
LEONORE
Wie lang' bin ich des Kummers Beute.
Du, Hoffnung, reichst mir Labung dar.
MARZELLINE
Ach! lieber Vater, was fällt Euch ein?
Lang Freund und Rather Müßt ihr uns sein!
ROCCO
Nur auf der Hut, dann geht es gut, gestillt,
gestillt wird euer Sehnen;
MARZELLINE
O habe Mut, o welche Glut,
o welch' ein tiefes Sehnen!
LEONORE
Ihr seid so gut ihr macht mir Mut,
gestillt wird bald mein Sehnen.
ROCCO
Gebt euch die Hand und schliesst das Band,
in süßen Freudentränen.
LEONORE
Ich gab die Hand zum süßen Band,
es kostet bittre Tränen.
MARZELLINE
Ein festes Band, mit Herz und Hand.
o süße, süße Tränen.
ROCCO
Aber nun ist es Zeit, daß ich dem Gouverneur
die Briefschaften überbringe.
(Zu Leonoren.)
Gieb her Fidelio.
LEONORE
(löst die an einem Bande über die Schulter hängende
Blechbüchse ab, und übergiebt sie Rocco. Alle drei durch
den Bogengang links ab.)
(The set has changed and represents a courtyard within several buildings appropriate for a fortress. During a short march, soldiers march in with an officer leading them; while they take their places, Pizarro enters. Rocco comes in a little behind him.)
RecitativePIZARRO
Drei Schildwachen auf den Wall, zwölf Mann Tag und
Nacht an der Zugbrü cke, ebensoviele gegen den Garten
zu. Und jedermann, der sich den Gräben der Festung
nähert, werde sogleich vor mich gebracht.
Wo sind die Depeschen?
ROCCO
Hier sind sie.
PIZARRO
Ich kenne diese Schrift?! Laß seh'n. -
"Ich gebe ihnen Nachricht, daß der Minister auf
geheimem Weg in Erfahrung gebracht hat, daß die
Staatsgefängnisse, denen Sie vorstehen, mehrere Opfer
willkürlicher Gewalt enthalten. Er reist morgen ab,
um Sie mit einer Untersuchung zu überraschen. " -
Gott, wenn er entdeckte, daß ich diesen Florestan
in Ketten liegen habe, ihn, der mich vor dem Minister enthüllen
und mir seine Gunst entreißen wollte! Gepriesener
Minister, ich werd emich doch deiner Wachsamkeit zu entziehen
wissen. - Heute soll er ankommen. Da habe ich keinen Augenblick zu
verlieren. - Hauptmann, hören Sie! Besteigen Sie mit einem
Trompeter sogleich den Turm. Sehen Sie mit größter
Aufmerksamkeit auf die Strasse nach Sevilla. Sobal Sie einen
Wagen, von Reitern begleitet, kommen sehen, lassen Sie augenblicklich
ein Signal geben. Ich erwarte größte Pünktlichkeit.
Sie haften mir mit Ihrem Kopf dafür. - Was aber jetzt tun, um
mir diesen Florestan unverzüglich vom Halse zu schaffen? -
Es gibt nur ein Mittel!
PIZARRO
Ha! Welch ein Augenblick!
Die Rache werd' ich kühlen!
dich, dich rufet dein Geschick!
In seinem Herzen wühlen, o Wonne,
großes Glück!
Schon war ich, schon war ich nah',
im Staube,
dem lauten Spott zum Raube,
dahin, dahin, ja,
dahin gestreckt zu sein!
Nun ist es mir geworden,
den Mörder selbst zu morden!
Ha! Welch ein AUgenblick! usw.
In seiner letzten Stunde,
den Stahl in seiner Wunde,
ihm noch ins Ohr zu schrei'n.
Triumph! Triumph! Triumph!
Der Sieg, der Sieg ist mein!
DIE WACHEN
Er spricht von Tod und Wunde,
nun fort auf unsre Runde,
wie wichtig, wie wichtig
muß es sein, nun fort, nun fort,
wie wichtig muß es sein!
PIZARRO
Ha! Welch ein Augenblick!
Die Rache werd' ich kühlen!
dich, dich rufet dein Geschick!
Der Sieg, der Sieg ist mein! Triumph
PIZARRO
Jetzt, Alter, jetzt hat es Eile!
dir wird ein Glück zu Teile,
(wirf ihm einen Beutel zu)
du wirst ein reicher Mann;
das geb' ich nur daran.
ROCCO
So sagt doch nur in Eile,
womit ich dienen kann.
PIZARRO
Du bist von kaltem Blute,
von unverzagtem Mute
durch langen, langen Dienst geworden.
ROCCO
Was soll ich? Redet, redet!
PIZARRO
Morden!
ROCCO
Wie?
PIZARRO
Höre mich nur an!
Du bebst? bist du ein Mann?
Wir dürfen gar nicht säumen,
dem Staate liegt
den bösen Untertan
schnell aus dem Weg zu räumen.
ROCCO
O Herr!
PIZARRO
Dem Staate liegt
den bösen Untertan
schnell aus dem Weg zu räumen.
ROCCO
O Herr!
PIZARRO
Du stehst doch an?
Er darf nicht länger leben,
sonst ist's um mich gescheh'n.
Pizarro sollte beben?
Du fällst, du fällst, ich werde steh'n.
ROCCO
Die Glieder fühl' ich beben,
wie könnt' ich das besteh'n?
Ich nehm' ihm nicht das Leben,
mag was da will, gescheh'n.
ROCCO
Nein, Herr, das Leben nehmen,
das ist nicht meine Pflicht.
PIZARRO
Ich will mich selbst bequemen,
wenn Dir's an Mut gebricht.
Nun eile rasch und munter
zu jenem Mann hinunter,
du weißt, du weißt, ...
ROCCO
... der kaum mehr lebt,
und wie ein Schatten schwebt?
PIZARRO
Zu dem, zu dem hinab!
Ich wart' in kleiner ferne, du gräbst in der Zisterne
sehr schnell ein Grab.
ROCCO
Und dann? Und dann?
PIZARRO
Dann werd' ich selbst vermummt mich in den Kerker
schleichen: ein Stoß ... und er verstummt!
ROCCO
Verhungernd in den Ketten,
ertrug er lange Pein,
ihn töten, heißt ihn retten,
der Dolch wird ihn befrei'n.
PIZARRO
Er sterb' in seinen Ketten,
zu kurz war seine Pein,
ihn töten, heißt ihn retten,
dann werd' ich ruhig sein.
Jetzt, ALter, jetzt hat es Eile!
Hast du mich verstanden?
Du gibst ein Zeichen;
dann werd' ich selbst vermummt
mich in den Kerker schleichen:
ein Stoß ... und er verstummt!
ROCCO
Verhungernd in den Ketten,
ertrug er lange Pein,
ihn töten, heißt ihn retten,
der Dolch wird ihn befrei'n.
PIZARRO
Er sterb' in seinen Ketten,
zu kurz war seine Pein,
ihn töten, heißt ihn retten,
dann werd' ich ruhig sein.
(Pizarro ab, Rocco folgt ihm)
Ein dunkler, unterirdischer Keller
MARZELLINE
Sie doch, wie du so schnell von der Freude zur
Traurigkeit übergehen kannst, als ob du einen
geheimen Kummer hättest, den du gern verbergen
möchtest.
LEONORE
Ich? - Ganz und gar nicht.
MARZELLINE
Ach mach's so wie ich, ich singe und lache
den ganzen Tag über und besonders, seit ich weiß,
daß du mein Mann wirst.
LEONORE
O wenn ich noch Angehörige hätte wie du! - Wenn
ich meinen Vater kennte wie du!
MARZELLINE
Jetzt ist die Stunde, wo ich die Gefangenen der frischen
Luft geniessen lassen muß Herz gefaßt, lieber Freund,
Herz gefaßt! - Wenn du auch keine Angehörigen hast,
so hast du doch Marzellinen, die dich so innig liebt, daß sie
dir für alle anderen gelten kann. Verstehst du mich? -
für alle - ja, ja - für alle. (mit der Wäsche ab)
MARZELLINE
Um in der Ehe froh zu leben,
muß man vor allem treu sich sein,
muß nie sich Grund zur Argwohn geben ...
LEONORE
Ja, Argwohn ist der Ehe Pein.
MARZELLINE
Darüber stimmen wir nun ein,
darüber stimmen wir nun ein.
LEONORE
Darüber stimm' ich mit dir ein.
MARZELLINE
Nur was du willst, soll stets geschehen,
ich gebe deinem Willen nach,
und wie ein Steinchen in dem Bach
sollst du, was ich mir denke sehen.
LEONORE
Dein Herz ist ja so spiegelrein,
man kann mit dir nur glücklich sein.
(für sich)
Wie schmerzlich, täuschen sie zu müssen,
der Himmel wird es mir verzeihen.
MARZELLINE
Das Leben wird uns sanft verfließen,
voll Blumen uns're Wege sein.
Um in der Ehe froh zu leben,
muß man vor allem treu sich sein,
muß nie sich Grund zur Argwohn geben ...
LEONORE
Ja, Argwohn ist der Ehe Pein.
MARZELLINE
Darüber stimmen wir nun ein.
BEIDE
Darüber stimmen wir nun ein.
MARZELLINE
Mein Vater wird mit dir und mir
sein Alter innig froh verleben;
und, und sind wir einmal unser vier,
o, das wird Himmelswonne geben.
LEONORE
O mag dir diese Freude werden.
MARZELLINE
Mein Vater sagt, es gibt auf Erden
nichts süßres, keine größ're Lust
als ich zuerst ihn Vater nannte,
da mußt' er weinen und es brannte
wie Glut die Freud in seiner Brust.
LEONORE
Auch du wirst einst so glücklich sein
und dich des Mutternamens freuen.
(für sich)
Wie schmerzlich, täuschen sie zu müssen,
der Himmel wird es mir verzeihen.
MARZELLINE
Das Leben wird uns sanft verfließen,
voll Blumen uns're Wege sein.
(Leonore versinkt in tiefe Gedanken)
LEONORE
Wie kalt ist es in diesem unterirdischen Gewölbe!
ROCCO
Das ist natürlich, es ist ja so tief!
LEONORE
Ich glaubte schon, wir würden
den Eingang gar nicht mehr finden.
ROCCO
Da ist er.
LEONORE
Wo?
ROCCO
Dort - auf dem Steine -
LEONORE
Er scheint ganz ohne Bewegung.
ROCCO
Vielleicht ist er tot.
LEONORE
Ihr meint es?
ROCCO
Nein, nein, er schläft. - Das müssen wir benützen,
und gleich ans Werk gehen, wir haben keine Zeit zu verlieren.
LEONORE
Es ist unmöglich, seine Züge zu unterscheiden.
Gott steh mir bei, wenn er es ist!
ROCCO
Hier unter diesen Trümmern ist die Zisterne,
von der ich gesagt habe. - Wir brauchen nicht viel
zu graben, um an die Öffnung zu kommen.
Hole mir eine Haue, und du stelle dich hierher!
Mir scheint, du zitterst? Fürchtest du dich?
LEONORE
O nein! - Ees ist nur so kalt.
ROCCO
So mache fort! Im Arbeiten wird dir schon warm werden.
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
es währt nicht lang, er kommt herein,
es währt nicht lang, er kommt herein.
LEONORE
Ihr sollt ja nicht zu klagen haben,
ihr sollt gewiß zufrieden sein.
ROCCO
Komm, hilf, komm hilf doch diesen Stein mit heben,
hab Acht, hab Acht! Er hat Gewicht!
LEONORE
Ich helfe schon, sorgt euch nicht,
ich will mir alle Mühe geben.
ROCCO
Ein wenig noch!
LEONORE
Geduld!
ROCCO
Er weicht!
LEONORE
Nur etwas noch!
ROCCO
Es ist nicht leicht!
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
es währt nicht lang, er kommt herein,
es währt nicht lang, er kommt herein.
LEONORE
Laßt mich nur wieder Kräfte haben,
wir werden bald zu Ende sein.
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
es währt nicht lang, er kommt herein.
LEONORE
Wer du auch seist, ich will dich retten,
bei Gott! Du sollst kein Opfer sein!
Gewiß, ich löse deine Ketten
ich will, du Armer, dich befrei'n!
Du Armer, dich befrei'n
ROCCO
Was er da mit sich selber spricht?
LEONORE
Mein Vater, nein, ich rede nicht!
ROCCO
Nur hurtig fort, nur frisch gegraben,
es währt nicht lang, er kommt herein.
LEONORE
Laßt mich nur wieder Kräfte haben,
wir werden bald zu Ende sein.
(Rocco trinkt)
RecitativeLEONORE
Er erwacht!
ROCCO (plötzlich im Trinken einhaltend)
Er erwacht, sagst du?
LEONORE
Ja, er hat eben den Kopf gehoben.
ROCCO
Ich muß allein mit ihm reden.
(Er steigt aus der Grube)
Steig' anstatt meiner hinab und mache bald so viel
Raum, daß man die Zisterne öffnen kann.
LEONORE
Was in mir vorgeht, ist unaussprechlich!
Ich muß lauschen.
ROCCO
Nun, habt ihr wieder einige Augenblicke Ruhe
genossen?
FLORESTAN
Ruhe, sagt ihr?
LEONORE
Diese Stimme! - wenn ich nur einen Augenblick
sein Gesicht sehen könnte.
FLORESTAN
Werdet ihr immer taub und gefühllos sein?
Werdet ihr euch nie des unglücklichen Florestan
erbarmen?
(mit den letzten Worten wendet er sein Gesicht gegen
Leonoren)
LEONORE
Gott, er ist's!
(Sie fällt ohne Bewußtsein an den Rand der Grube)
ROCCO
Was verlangt Ihr denn von mir?
Ich vollziehe die Befehle, die man mir gibt;
das ist mein Amt, meine Pflicht.
FLORESTAN
Wer ist Gouverneur dieses Gefängnisses?
ROCCO
Der Gouverneur dieses Gefängnissen ist Don Pizarro.
FLORESTAN
Pizarro, sagt ihr? - O nun erstaun' ich nicht mehr,
daß ich diese Martern zu leiden verdammt bin. - Er
ist's dessen Verbrechen, dessen Mißbrauch der
Gewalt ich zu entdecken wagte. Ich bitt' euch nur, sobald
als möglich nach Sevilla zu schicken; dort fragt
nach Leonore Florestan -
LEONORE
Gott, er ahnt nicht, daß sie jetzt sein Grube gräbt!
FLORESTAN
Gebt ihr Nachricht, daß ich noch lebe, sagt ihr, daß
ich hier in Ketten liege, daß der Barbar Pizarro hier zu
gebieten hat. Sie wird meine Freiheit bewirken, mein Leben
erhalten, und du, Alter, wirdt die Tugend geschützt und die
Unschuld gerettet haben.
ROCCO
Es ist unmöglich, sag' ich euch. - Ich würde mich ins
Verderben stürzen, ohne euch genützt zu haben.
LEONORE
O Gott, wer kann das ertragen?
FLORESTAN
Aus Barmherzigkeit, gib mir nur einen Tropfen Wasser.
ROCCO
Es geht mir wider meinen Willen so zu Herzen!
Alles was ich euch anbieten kann, ist dasa Restchen Wein,
das ich noch im Krug habe. Fidelio!
LEONORE
Da ist er! Da ist er!
FLORESTAN
Wer ist dieser Jüngling?
ROCCO
Mein Schließer, und in wenigen Tagen mein Eidam.
(Zu Leonore) Du bist ja so bewegt!
LEONORE
Wer sollt' es nicht sein? - Ihr selbst, Meister Rocco -
ROCCO
Du hast recht. Dieser Mensch hat so eine Stimme -
ROCCO (nach augenblicklichem Stillschweigen zu Leonore)
Alles ist bereit; ich gehe, das Signal zu geben.
(Er geht in den Hintergrund)
LEONORE
O Gott, gib mir Mut und Stärke!
ROCCO
Hat man nicht auch Gold beineben,
kann man nicht ganz glücklich sein;
traurig schleppt sich fort das Leben,
mancher Kummer stellt sich ein.
Doch wenn's in der Tasche fein klingelt und rollt,
da hält man das Glück an dem Fädchen,
ein Amt, hohe Würden verschafft dir das Gold,
Juwelen und reizende Mädchen.
Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,
es ist ein schönes, schönes Ding, das Gold, das Gold
Daß nur Gold im Beutel lache,
jedes Erdenglück ist dein,
Stolz und übermut und Rache
werden schnell befriedigt sein.
Drum ist auch Fortuna den Reichen so hold,
sie tuen ja nur, was sie wollen,
verhüllen die Handlungen künstlich mit Gold,
worüber sie schämen sich sollen.
Das Glück dient wie ein Knecht um Sold,
es ist ein mächtig Ding, das Gold, das Gold.
LEONORE
Ihr könnt das leicht sagen, Meister Rocco, aber ich,
ich behaupte, daß die Vereinigung zweier
gleichgestimmten Herzen die Quelle des wahren Glückes ist.
Freilich gibt es noch etwas, was mir nicht weniger kostbar sein
würde, - aber mit Kummer sehe ich, daß ich es trotz aller meiner
Bemühungen nicht erhalten werde.
ROCCO
Und was wäre denn das?
LEONORE
Euer Vertrauen. Verzeiht mir diesen kleinen Verweis,
aber oft sehe ich euch aus den unterirdischen Gewölben
des Schlosses ganz außer Atem und ganz ermattet
zurückkommen; warum erlaubt Ihr mir nicht,
euch hinzubegleiten? -
ROCCO
Du weißt doch, daß ich den strengsten Befehl habe,
niemanden, wer es auch sein mag, zu den Staatsgefangenen
zu lassen.
MARZELLINE
Es sind ihrer aber so viele in dieser Festung! -
Du arbeitest dich ja zu Tod, lieber Vater.
LEONORE
Sie hat recht, Meister Rocco. - Man soll allerdings seine
Schuldigkeit tun, aber es ist doch auch erlaubt,
mein' ich, zuweilen daran zu denken, wie man sich für die,
die uns angehören und lieben, ein bißchen schonen kann.
(Sie drückt eine seiner Hände in die ihrigen.)
MARZELLINE
(Roccos andere Hand an ihre Brust drückend)
Man muß sich ja für seine Kinder zu erhalten suchen.
ROCCO (sieht beide gerührt an)
Ja, ihr habt recht, diese schwere Arbeit würde mir
doch endlich zu viel werden. Der Gouverneur ist zwar
sehr streng, er muß mir aber doch erlauben, dich in die
geheimen Kerker mit mir zu nehmen.
(Leonore entwischt eine heftige Gebärde der Freude)
Unterdessen gibt es doch ein Gewölbe, in das ich dich
nie werde führen dürfen, obwohl ich mich ganz
auf dich verlassen kann.
MARZELLINE
Vermutlich, wo der Gefangene sitzt, von
dem du schon einige gesprochen hast, Vater.
ROCCO
Du hast's erraten.
LEONORE
Ich glaub', es ist schon lange her, daß er gefangen sitzt.
ROCCO
Es ist schon über zwei Jahre.
LEONORE
Zwei Jahre, sagt Ihr? Er muß ein großer Verbrecher sein.
ROCCO
Oder er muß große Feinde haben; das kommt ungefähr auf
eins heraus.
MARZELLINE
So hat man denn nie erfahren können, woher er ist, und wie er
heißt?
ROCCO
Ach, für unsereinen ist's am besten, so wenig Geheimnisse
als möglich zu wissen, darum hab' ich ihn auch nie ihn anhören
wollen. Ich hätte mich verplappern können, und ihm hätt'
ich auch nicht genützt, sondern vielmehr geschadet. -
Nun, er wird nicht mehr lange sich quälen müssen!
Es kann nicht mehr lange mit ihm dauern.
LEONORE
Oh Gott!
ROCCO
Seit einem Monat schon muß ich auf Pizarros Befehl
seine Portion kleiner machen. Jetzt hat er binnen
vierundzwanzig Stunden nicht mehr als zwei Unzen
schwarzes Brot und eine halbe Maß Wasser.
MARZELLINE
O lieber Vater, führe Fidelio ja nicht zu ihm,
diesen Anblick könnt' er nicht ertragen.
LEONORE
Warum denn? Man muß sich an alles gewöhnen -
besonders in unserem Stande. - O, ich habe Mut und Stärke.
PIZARRO
Ist alles bereit?
ROCCO
Ja, wir haben nurmehr die Zisterne zu öffnen.
PIZARRO
Gut - der Jüngling soll sich entfernen.
ROCCO
Geh, geh!
LEONORE
Wer?... Ich...? Und ihr?
PIZARRO
Die muß ich mir heute noch beide vom Halse schaffen,
damit alles auf immer im Dunkeln bleibt.
ROCCO
Soll ich ihm die Ketten abnehmen?
PIZARRO
Nein, ich muß erst - Die Zeit ist dringend.
(Er zieht einen Dolch hervor)
LEONORE (ganz ermattet)
Die Waffe hab' ich mir nehmen lassen - o Gott, Gott -
In einem Augenblick die Frucht so vieler Bemühung
verloren! - Keine Hoffnung hab' ich mehr! - Nein! Nein!
(Sie sinkt ohnmächtig auf die Trümmer der Zisterne)
FLORESTAN
O Leonore, sprich! Durch welches Wunder ist es
dir gelungen, zu mir zu dringen?
LEONORE (schnell)
Ich verließ Sevilla - ich kam zu Fuß -
in Manneskleidern - der Kerkermeister nahm mich
in Dienste, dein Verfolger selbst machte mich zum
Schließer!
FLORESTAN
So viele Beschwerden hast du ertragen können?
LEONORE
Die Liebe hat mich beseelt! Meine Kräfte waren
unerschöpflich!
FLORESTAN
Meine Leonore, was hast du alles
für mich getan!
LEONORE
Nichts, mein Florestan.
DON FERNANDO
(zu Florestan)
Wie lang habt ihr sie getragen?
FLORESTAN
Ich weiß es nicht, denn mit den Tagen
vermengen sich die Nächte hier.
DON FERNANDO
(zu Rocco)
Ihr, Alter, wißt es, sagt es mir.
ROCCO
Zwei Jahre sind's, ich irre nicht.
DON FERNANDO
(zu Pizarro)
So höre denn, du Bösewicht,
du kontest dich an seinen Leiden
zwei schreckensvolle Jahre weiden?
Du wirst nun an denselben Stein
dein Leben durch geschmiedet sein!
CHOR
O, zu gelind' ist er bestraft.
LEONORE
O nein! O nein! Erbarmt euch sein!
Denn ihm gab sein Bewußtsein Kraft.
FLORESTAN
O nein! O nein! Erbarmt euch sein!
Denn mir gab mein Bewußtsein Kraft.
CHOR
Nein, nein, nein!
Er ist noch zu gelind' bestraft.
DON FERNANDO
Der König wird sein Richter sein;
kommt, Freunde, laßt zu ihm uns eilen,
er wird mit mir die Wonne teilen,
verfolgte Unschuld zu befrei'n.
CHOR
Preist! Preist!
Preist mit hoher Freude Glut
Leonorens edlen Mut!
MARZELLINE, JAQUINO,
ROCCO, DON FERNANDO
Wer ein holdes Weib errungen,
stimm in unsern Jubel ein,
nie, wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten zu sein.
CHOR
Wer ein holdes Weib errungen,
stimm in unsern Jubel ein,
nie, wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten zu sein.
FLORESTAN
Deine Treu' erhielt mein Leben,
Tugend schreckt den Bösewicht.
LEONORE
Liebe führte mein Bestreben,
wahre Liebe fürchtet nicht.
ROCCO
Ist Fidelio noch nicht nach Hause gekommen?
MARZELLINE
Nein, Vater.
(Man pocht an die Pforte.)
JACQUINO
Ich komme schon, ich komme schon.
ROCCO
Er wird vermutlich beim Schmiede so langen haben warten
müssen.
MARZELLINE
Da ist er! Da ist er!
(Während des Marsches wird das Haupttor
durch Schildwachen geöffnet. Offiziere ziehen
ein, dann kommt Pizarro)
LEONORE
Ach, brich noch nicht, du mattes Herz!
Du hast in Schreckenstagen
mit jedem Schlag ja neuen Schmerz
und bange Angst ertragen.
Ach, brich noch nicht, du mattes Herz!
Komm', Hoffnung, laß' den letzten Stern
der Müden nicht erbleichen!
Komm', o komm', erhell' ihr Ziel,
sei's noch so fern,
die Liebe, die Liebe wird's erreichen.
Komm', o komm', erhell ihr Ziel,
komm', Hoffnung, laß' den letzten Stern usw.
O du, für den ich alles trug,
könnt ich zur Stelle dringen,
wo Bosheit dich in Fesseln schlug,
und süßen Trost dir bringen!
Ich folg' dem innern Triebe,
ich wanke nicht,
micht stärkt die Pflicht
der treuen Gattenliebe.
ROCCO
Ein Mann ist bald genommen,
leicht nimmt man sich ein Weib,
doch nach dem Zeitvertreib
kann bald die Reue kommen,
ja, ja, die Reue kommen.
Ist euch das Ja entfahren,
ihr Kinder, merkt euch fein,
dann hilft nach langen Jahren
euch nimmer das Nein, Nein!
JACQUINO
Mir soll ja nichts entfahren,
bedächtlich schlag' ich ein,
als wir alleine waren,
da sprach sie nicht nein, nein!
MARZELLINE
Mir soll es nicht entfahren,
das Ja der langen Pein,
ich will mir Gram ersparen,
ich sage jetzt nein, nein!
ROCCO
Bei frischen roten Wangen
kann man wohl leicht erglüh'n.
doch läßt man sie verblüh'n,
verblüht auch das Verlangen,
ja, ja, auch das Verlangen.
Durch Eintracht nur der Herzen
kann man zufrieden sein,
mit Ernst ist nicht zu scherzen,
drum rat' ich euch, sagt nein.
JACQUINO
Das heißt den Satan schwärzen,
sie willigt nimmer ein.
Sie scheint mir nicht zu scherzen
sie sagt im Ernste nein.
MARZELLINE
Er spricht aus meinem Herzen,
Fidelio wird mein,
dann will ich ernstlich scherzen,
dann sag' ich nicht nein, nein!
ROCCO
Durch Eintracht nur der Herzen
kann man zufrieden sein,
mit Ernst ist nicht zu scherzen,
drum rat' uch euch, sagt nein.
JACQUINO
Das heißt den Satan schwärzen,
sie willigt nimmer ein.
Sie scheint mir nicht zu scherzen
sie sagt im Ernste nein.
MARZELLINE
Er spricht aus meinem Herzen,
Fidelio wird mein,
dann will ich ernstlich scherzen,
dann sag' ich nicht nein, nein!
GEFANGENE
O, welche Lust!
in freier Luft den Atem
leicht zu heben, O, welche Lust!
Nur hier, nur hier ist Leben,
der Kerker eine Gruft, eine Gruft!
ERSTER GEFANGENER
Wir wollen mit Vertrauen
auf Gottes Hilfe,
auf Gottes Hilfe bauen,
die Hoffnung flüstert sanft mir zu,
wir werden frei, wir finden Ruh,
wir finden Ruh'.
GEFANGENE
O Himmel Rettung,
welch ein Glück,
o Freiheit, o Freiheit,
kehrst du zurück?
ZWEITER GEFANGENER
Sprecht leise, haltet euch zurück,
wir sind belauscht mir
Ohr und Blick.
GEFANGENE
Sprecht leise, haltet euch zurück,
wir sind belauscht mit Ohr und Blick.
O, welche Lust!
in freier Luft den Atem
leicht zu heben, O, welche Lust!
Nur hier, nur hier ist Leben,
der Kerker eine Gruft, eine Gruft!
Sprecht leise, haltet euch zurück,
wir sind belauscht mit Ohr und Blick.
ROCCO
Entfernt euch jetzt! Nun, könnt ihr eilen?
Ihr könnt ja morgen länger hier verweilen.
LEONORE
Nun sprecht, wie ging's?
ROCCO
Recht gut, recht gut !
Zusammen rafft' ich meinen Mut,
und trug ihm alles vor,
und sollt'st du's glauben,
was er zur Antwort mir gab?
Die Heirat, und daß du mir hilfst,
will er erlauben,
noch heute führ ich in den Kerker dich hinab.
LEONORE
Noch heute? noch heute?
O welch ein Glück, o welche Wonne!
ROCCO
Ich sehe deine Freude;
nur noch ein Augenblick,
dann gehen wir schon beide, ja,
dann gehen wir schon beide.
LEONORE
Wohin, wohin?
ROCCO
Zu jenem Mann hinab,
dem ich seit vielen Wochen
stets weniger zu essen gab.
LEONORE
Ha, wird er losgesprochen?
ROCCO
O nein!
LEONORE
So sprich, so sprich!
ROCCO
O nein, o nein!
O nein, o nein!
Wir müssen ihn, doch wie,
befrei'n, er muß in einer Stunde -
den Finger auf dem Munde
von uns begraben sein.
LEONORE
So ist er tot?
ROCCO
Noch nicht, noch nicht!
LEONORE
Ist, ihn zu töten,deine Pflicht?
ROCCO
Nein, guter Junge, zitt're nicht!
Zum Morden, zum Morden dingt sich Rocco nicht,
nein, nein!
Der Gouverneur,
der Gouverneur kommt selbst hinab,
wir beide graben nur das Grab.
LEONORE
Ich soll das Grab des Gatten graben,
was kann fürchterlicher sein?
ROCCO
Ich darf ihn nicht mit Speise laben,
ihm wird im Grabe besser sein.
Wir müssen gleich zum Werke schreiten,
du mußt helfen, mich begleiten;
hart, hart ist des Kerkermeisters Brot.
LEONORE
Ich folge dir bis in den Tod!
ROCCO
In der verfallenen Zisterne
bereiten wir die Grube leicht;
ich tu' es, glaube mir, nicht gerne,
auch dir ist schaurig, wie mich deucht.
LEONORE
Ich bin es nur noch nicht gewohnt.
ROCCO
Ich hätte gerne dich verschont,
doch wird mir allein zu schwer,
und gar so streng ist unser Herr.
LEONORE
O welch ein Schmerz!
ROCCO
(für sich)
Mir scheint, er weine.
LEONORE
O welch ein Schmerz!
ROCCO
Nein, nein, du bleibst hier,
ich geh' alleine, ich geh' allein,
du bleibst hier, nein,
du bleibst hier!
LEONORE
O nein, o nein, ich muß ihn seh'n,
den Armen sehen.
Und müßt ich selbst zugrunde gehen!
BEIDE
O säumen wir nun länger nicht,
wir folgen uns'rer strengen Pflicht.
MARZELLINE
(Stürmt herein)
Ach, Vater, eilt!
ROCCO
Was hast du denn?
JAQUINO
Ach ihr verweilt!
ROCCO
Was ist gescheh'n?
MARZELLINE
Mir folgt im Zorn Pizarro nach,
du bist verlor'n!
ROCCO
Gemach, gemach!
LEONORE
So eilet fort!
ROCCO
Ich gehe schon, nur noch ein Wort;
MARZELLINE
Er kommt ja schon,
du weiß ja, wie er tobet,
du kennest seine Wut.
LEONORE
Wie mir's im Innern tobet,
empöret ist mein Blut!
ROCCO
Erst hat er mich gelobet
und jetzt ist er in Wut.
(Pizarro, Offiziere und Wachen treten auf)
PIZARRO
Noch immer zaudert ihr?
Noch immer seid ihr hier? Noch immer?
ROCCO, MARZELLINE, LEONORE
Ihr müßt, weil ihr ...
Ach verzeiht, ach verzeiht!
PIZARRO
Nicht mehr ein Wort,
fort, eilig fort.
sonst findet ihr den Lohn.
ROCCO, MARZELLINE, LEONORE
Ja, wir gehorchen schon.
(Sie schleichen schüchtern ab)
PIZARRO
(zu den Wachen)
Auf euch nur will ich bauen,
seid string auf eurer Hut,
rechtfertigt mein Vertrauen,
sonst fürchtet meine Wut!
Jetzt eilet auf die Zinnen,
besetzet rings den Turm!
Bald wird sein Blut verrinnen,
bald krümmet sich der Wurm.
CHOR DER WACHEN
Fest könnt ihr auf uns bauen,
und flöss auch unser Blut,
uns ziemet das Vertrauen,
wir sind voll Treu und Mut.
PIZARRO
Bald wird sein Blut verrinnen,
bald krümmet sich der Wurm.
Auf euch nur will ich bauen,
rechtfertigt mein Vertrauen.
Seid string auf eurer Hut,
sonst fürchtet meine Wut!
CHOR DER WACHEN
Fest könnt ihr auf uns bauen,
uns ziemet das Vertrauen,
wir sind voll Treu und Mut,
und flöss auch unser Blut.
PIZARRO
Jetzt eilet auf die Zinnen,
besetzet rings den Turm!
Bald wird sein Blut verrinnen,
bald krümmet sich der Wurm.
CHOR DER WACHEN
Wir eilen auf die Zinnen,
besetzen rings den Turm,
wir sind voll Treu und Mut,
und flöss auch unser Blut.
FLORESTAN
Gott! Welch Dunkel hier!
O grauenvolle Stille!
Öd ist es um mich her,
nichts, ach nichts lebet außer mir.
O schwere Prüfung!
Doch gerecht ist Gottes Wille!
Ich murre nicht!
Das Maß der Leiden steht bei dir!
In des Lebens Frühlingstagen
ist das Glück von mir gefloh'n.
Wahrheit wagt ich kühn zu sagen,
und die Ketten sind mein Lohn.
Willig duld' ich alle Schmerzen,
ende schmählich meine Bahn;
süßer, Trost in meinem Herzen:
meine Pflicht hab ich getan.
Ach! Es waren schöne Tage,
als mein Blick an deinem hing,
als ich dich mit frohem Schlage
meines Herzens fest umfing.
Ach, es waren schöne Tage!
Mild're, Liebe, deine Klage,
wandle ruhig deine Bahn,
sage deinem Herzen, sage:
Florestan hat recht getan.
Mild're, Liebe, deine Klage ...
FLORESTAN
Euch werde Lohn in bessern Welten,
der Himmel, der Himmel hat euch mir geschickt,
o Dank, ihr habt mich süß erquickt,
ich kann die Wohltat nicht vergelten.
ROCCO
Ich labt ihn gern, den armen Mann,
es ist ja bald um ihn getan.
LEONORE
Wie zieht er mich so mächtig an,
o wenn ich ihn befreien kann.
FLORESTAN
Er scheint gerührt, der gute Mann,
o wenn ich ihn gewinnen kann!
LEONORE
Wie zieht er mich so mächtig an,
o wenn ich ihn befreien kann.
ROCCO
Ich labt ihn gern, den armen Mann,
es ist ja bald um ihn getan.
LEONORE
(leise zu Rocco)
Dies Stückchen Brot, ja, seit zwei Tagen
trag ich es immer schon bei mir.
ROCCO
Ich möchte gern, doch sag ich dir,
das hieße wirklich zu viel wagen.
LEONORE
Ihr labtet gern den armen Mann.
ROCCO
Das geht nicht an, das geht nicht an!
LEONORE
Es ist ja bald um ihn getan.
ROCCO
Das geht nicht an, das geht nicht an!
LEONORE
Es ist ja bald um ihn getan.
ROCCO
So sei es, so sei's, du kannst es wagen.
LEONORE
Da nimm, da nimm das Brot,
du armer, du armer Mann!
FLORESTAN
O Dank dir, Dank! O Dank!
Euch werde Lohn in bessern Welten,
der Himmel, der Himmel hat euch mir geschickt.
LEONORE
Wie zieht er mich so mächtig an,
o wenn ich ihn befreien kann.
Du armer, du armer Mann!
ROCCO
Ich labt ihn gern, den armen Mann,
es ist ja bald um ihn getan.
Der arme Mann, der arme Mann,
es ist ja bald um ihn getan.
FLORESTAN
Er scheint gerührt, der gute Mann,
o wenn ich ihn gewinnen kann!
Ich kann die Wohltat nicht vergelten.
der Himmel, der Himmel hat euch mir geschickt.
O daß ich euch nicht lohnen kann!
O Dank! Ich kann die Wohltat nicht vergelten.
LEONORE
O mehr als ich ertragen kann!
Du armer Mann! Du armer Mann!
ROCCO
Es ist ja bald um ihn getan.
Der arme Mann! Der arme Mann!
(Florestan verschlingt das Stückchen Brot)
Nr. 16 QuartetPIZARRO
Er sterbe!
Doch er soll erst wissen,
wer ihm sein stolzes Herz zerfleischt
Der Rache Dunkel sei zerrissen
sieh her, du hast mich
nicht getäuscht!
Pizarro, den du stürzen wolltest,
Pizarro, den du fürchten solltest,
steht nun als Rächer hier!
FLORESTAN
Ein Mörder steht vor mir!
PIZARRO
Noch einmal ruf' ich dir,
was du getan zurück,
nur noch ein Augenblick,
und dieser Dolch ...
LEONORE
Zurück! Zurück!
FLORESTAN
O Gott!
ROCCO
Was soll?
LEONORE
Durchbohren, durchbohren
mußst du erst diese Brust,
der Tod sei dir geschworen
für deine Mörderlust!
PIZARRO
Wahnsinniger!
LEONORE
Der Tod sei dir geschworen
für deine Mörderlust!
ROCCO
Halt ein, halt doch ein!
PIZARRO
Wahnsinniger! Er soll bestrafet sein!
LEONORE
Töt erst sein Weib!
PIZARRO
Sein Weib?
ROCCO
Sein Weib?
FLORESTAN
Mein Weib?
LEONORE
Ja, sieh hier Leonore!
FLORESTAN
Leonore!
LEONORE
Ich bin sein Weib,
geschworen hab ich ihm Trost,
Verderben dir!
PIZARRO
Sein Weib?
ROCCO
Sein Weib?
FLORESTAN
Mein Weib?
LEONORE
Ich bin sein Weib,
geschworen hab ich ihm Trost,
Verderben dir!
FLORESTAN
Vor Freude starrt mein Blut!
ROCCO
Mir starrt vor Angst mein Blut!
PIZARRO
Welch' unerhörter Mut!
welch unerhörter Mut!
Ha, soll ich vor einem Weibe beben?
So opfr'ich, so opfr'ich
beide meinem Grimm;
geteilt hast du mit ihm das Leben,
so teile nun den Tod mit ihm!
LEONORE
Ich trotze seiner Wut!
Verderben ihm!
Der Tod, der Tod sei dir geschworen,
durchbohren mußt
du erst diese Brust!
(zieht eine Pistole)
Noch einen Laut, und du bist tot!
(Trompeten hinter der Szene)
LEONORE
Ach, du bist gerettet, großer Gott!
FLORESTAN
Ach, ich bin gerettet, großer Gott!
PIZARRO
Ha! ha, der Minister, Höll' und Tod!
ROCCO
O, was ist das? Gerechter Gott!
LEONORE
So schlägt der Rache Stunde,
du sollst gerettet sein!
FLORESTAN
So schlägt der Rache Stunde,
ich soll gerettet sein!
PIZARRO
Verflucht sei diese Stunde,
die Heuchler spotten mein.
ROCCO
O fürchterliche Stunde!
O, Gott, was wartet mein?
PIZARRO
Verzweiflung wird im Bunde
mit meiner Rache sein!
Verflucht sei diese Stunde,
die Heuchler spotten mein.
LEONORE
Die Liebe wird im Bunde
mit Mute mich befrein.
FLORESTAN
Die Liebe wird im Bunde
mit Mute dich befrei'n.
Es schlägt der Rache Stunde,
ich soll gerettet sein!
ROCCO
Ich will nicht mehr im Bunde
mit diesem Wüt'rich sein.
O fürchterliche Stunde!
O, Gott, was wartet mein?
(Pizarro stürzt ab, Rocco folgt ihm nach,
nachdem er Leonore die Waffe abgenommen hat.)
FLORESTAN
Ich kann mich noch nicht fassen,
zu denken wag' ich's kaum,
sie hat mich nicht verlassen,
o nein, es war kein Traum.
Sie war's, sie ist's, dort sank sie hin!
O Gott! Sie scheint sich kaum zu regen!
Weh mir, daß ich gefesselt bin!
Mein Herz erliegt so vielen Schlägen!
O Leonore, Leonore!
LEONORE
(noch ohne Bewußtsein)
Gebt, ach gebt ihn mir!
FLORESTAN
Ha, sie ist's!
O Gott! O Gott! Sie ruft nach mir!
Geliebtes Weib!
LEONORE
O helft, o helft ihn retten!
FLORESTAN
Sieh' Florestan, sieh' seine Ketten,
sieh', Leonore, den Gemahl!
LEONORE
(erholt sich)
Was hör ich?
Welch süßer Schall?
FLORESTAN
Sie ist's! O himmlisches Entzücken!
Komm, laß an dieses Herz dich drücken,
o Leonore, komm zu mir!
LEONORE
Er ist's! Er ist's!
(Sie eilt zu ihm und sinkt an seine Brust)
Ich bin bei dir.
BEIDE
O, namen-, namenlose Freude!
LEONORE
Mein Mann an meiner Brust!
FLORESTAN
Mein Weib an meiner Brust!
BEIDE
Nach unnennbarer Leiden,
so übergroße Lust.
LEONORE
Du wieder nun in meinen Armen!
FLORESTAN
O Gott, wie groß ist dein Erbarmen,
LEONORE
Du wieder nun in meinen Armen!
FLORESTAN
O Gott, wie groß ist dein Erbarmen,
O Dank dir, Gott, für diese Lust!
BEIDE
O Dank dir, Gott, für diese Lust!
Mein Mann, mein Mann an meiner Brust!
Ich bin's!
Mein Weib, mein Weib
O, namen-, namenlose Freude!
FLORESTAN
Du bist's! Du bist'S!
O himmlisches Entzücken!
Komm, laß an dieses Herz dich drücken!
LEONORE
Ich bin's! Ich bin's! O himmlisches Entzücken!
Komm, laß an dieses Herz dich drücken!
FLORESTAN
Leonore!
LEONORE
Florestan!
O, namen-, namenlose Freude!
Nach unnennbarer Leiden,
so übergroße Lust.
Mein Mann an meiner Brust!
Mein Weib an meiner Brust!
O Dank dir, Gott, für diese Lust!
CHOR
(von innnen, entfernt)
Zur Rache, zur Rache, zur Rache,
wir müssen ihn seh'n,
ja, wir müssen ihn seh'n!
LEONORE
O Gott, o Gott, nun ist's um uns gescheh'n!
O Hülfe, großer Gott, Hülfe, Hülfe!
FLORESTAN
Laß uns mit Mut dem Tod,
der Ruh' entgegengeh'n.
LEONORE
Ja, geh'n wir ihm entgegen,
er endet unsern Harm;
dein Wille, Gott, ist Segen,
ich sterb' in seinem Arm.
FLORESTAN
Ja, geh'n wir ihm entgegen,
er endet unsern Harm;
dein Wille, Gott, ist Segen,
ich sterb' in ihrem Arm.
CHOR
(näher)
Zur Rache, zur Rache!
Die Unschuld werde befreit,
Gott schützet die gerechte Sache
und straft die Grausamkeit.
LEONORE, FLORESTAN
Gott schützet die gerechte Sache
und straft die Grausamkeit.
CHOR
(hervortretend)
Zur Rache, zur Rache, zur Rache!
Gott schützet die gerechte Sache
und straft die Grausamkeit.
ROCCO
(Er hat sich nahe zu Leonore gedrängt.
Ihm folgt Don Fernando auf dem Fuße)
Hier sind sie!
Seht! O habt Erbarmen!
O rettet dieses edle Paar!
FLORESTAN
Wer reißt sie mir aus meinen Armen?
LEONORE
Herbei! Ich trotze der Gefahr!
FLORESTAN
Was seh' ich! Don Fernando!
DON FERNANDO
Ja, doch um die Tugend nur zu rächen,
um eure Ketten zu zerbrechen,
als euer Retter bin ich da.
LEONORE, FLORESTAN
O Gott!
DON FERNANDO
(hebt Leonore auf)
Stegt auf, steht auf! Es ziemte mir,
mir selbst, zu euren Füßen hier
der Frauen edelste zu ehren.
ROCCO
Laß euch auch über mich belehren:
verfolgt hab ich euch nur zum Schein;
ich kann nicht unbarmherzig sein,
als Retter wollt ich wiederkehren.
(die Pistole zeigend)
Das hab' ich mit Gewalt geborgt,
für Mißbrauch war ich nur besorgt.
Jetzt soll mein Herz nichts mehr beschweren.
(Er wirft Pizarro einen Beutel zu)
Das gabst du mir in diesem Kauf!
Der Fluch des Himmels liegt darauf!
CHOR
Bestrafet sei der Bösewicht
der Unschuld unterdrückt!
Hält nicht das strafende Gericht
der Rache Schwerte gezückt)
FERNANDO
(zu Rocco)
Du des edlen Mannes Grab,
jetzt, jetzt nimm ihm seine Ketten ab.
(zu Leonore)
Doch halt! Euch, edle Frau, allein,
euch ziemt es, ganz ihn zu befrei'n.
LEONORE, FLORESTAN, MARZELLINE,
ROCCO, DON FERNANDO, CHOR
O Gott, o Gott, welch ein Augenblick
O unaussprechlich süßes Glück!
Gerecht, o Gott, gerecht ist dein Gericht!
Du prüfest, du verläßt uns nicht!
FLORESTAN, MARZELLINE, JAQUINO,
ROCCO, FERNANDO, CHOR
Wer ein holdes Weib errungen,
stimm in unsern Jubel ein,
nie, wird es zu hoch besungen,
Retterin des Gatten zu sein.
(Leonore und Marzelline kommen von der
entgegengesetzten Seite)
PIZARRO
Rocco!
ROCCO
Herr!
PIZARRO
Ich muß ihn dazu gebrauchen. - Komm näher!
MARZELLINE
Nun ist es endlich entschieden. - Nichts kann unser
Glück mehr hindern; in wenigen Tagen werd' ich das
Weib meines lieben Fidelio sein!
LEONORE
O, daß ich sie täuschen muß! - Welch
schreckliche Lage!
LEONORE (allein)
Wie rührend ist ihre Hingebung! - Wie liebenswürdig ihre
Offenheit! Der Augenblick ist nah, wo es mir gelingen wird, in die
geheimen Kerker der Festung zu dringen. Ja, mein Mann lebt, er lebt
in diesen Kerkern! - Alles sagt es mir! - Gott hat mir mehr Kräfte,
als ich zu hoffen wagte, gegeben! Mut gefaßt! - Was mir auch
bevorstehen mag, ich muß mein Werk vollenden!